Digitalisierung verändert die Arbeitswelt, von intelligenten Werkzeugen bis hin zu flexiblen Arbeitsorten. Die „5G-Lernorte OWL“ erforschen, was das für die berufliche Bildung bedeutet – und bringen modernsten Mobilfunk bis ins Klassenzimmer.
Johannes Schäfers steht in einer Fabrikhalle vor einem 3D-Drucker. Seine Aufgabe ist es, das Gerät zu warten. Doch dafür braucht er die Hilfe seiner Kollegin: Andrea Wübbeke steht jedoch nicht neben Schäfers – und das macht die Aufgabe kompliziert. „Wir alle kennen die Herausforderung, wenn wir versuchen, jemandem am Telefon etwas am Computer zu erklären, ohne zu sehen, was der andere sieht“, sagt Schäfers.
Damit Wübbeke seine Perspektive einnehmen kann, setzt Schäfers eine Augmented-Reality-Brille auf. Augmented Reality (AR), auf deutsch „erweiterte Realität“, bezeichnet eine Mischung aus physischer und digitaler Welt. Die AR-Brille hat eine Kamera eingebaut und ist direkt mit Schäfers' Smartphone verbunden, das Videotelefonat mit Wübbeke läuft über 5G-Mobilfunk. So erhält sie hochauflösende Live-Bilder von dem, was Schäfers vor sich sieht, und kann gleichzeitig über eine Software digitale Elemente in sein Sichtfeld projizieren. Dadurch lernt Schäfers Schritt für Schritt, die Wartung durchzuführen.
Fachkräfte lernen die Potenziale von 5G zu nutzen
Andrea Wübbeke und Johannes Schäfers sind wissenschaftliche Mitarbeitende an der Universität Paderborn und testen ein Lernszenario, das im Projekt „5G-Lernorte OWL“ entwickelt wurde. Sie wollen die Anwendungsfelder des 5G-Mobilfunks für die berufliche Bildung erforschen, um Fachkräfte auf die digitalisierte Welt von morgen vorzubereiten. Eine wichtige Aufgabe für Ostwestfalen-Lippe (OWL), aber auch alle anderen deutschen Wirtschaftsregionen.
Vor allem Wirtschaft und Industrie profitieren von dem leistungsfähigen Mobilfunkstandard. Mit hohen Datenraten, zuverlässiger Übertragung und geringen Reaktionszeiten ermöglicht er viele moderne Anwendungen – von der automatisierten Produktion bis zur ferngesteuerten Logistik. Auszubildende und Beschäftigte müssen daher fit für die 5G-basierte Arbeitswelt gemacht werden: Wie arbeite ich mit 5G-vernetzten Werkzeugen und Maschinen? Welche Vorteile bietet die 5G-Technologie? Und welche weiteren Anwendungsfelder gibt es für 5G?
Mehrere Einrichtungen vermitteln Wissen über 5G
Fachleute und Lehrkräfte entwickeln daher im Projekt „5G-Lernorte OWL“ verschiedene Lernszenarien für gewerblich-technische und kaufmännische Berufe, wie zum Beispiel Fernwartung und Fernsteuerung von Maschinen sowie Telepräsenz und Echtzeitdatenanalyse. Schülerinnen und Schüler erproben diese gemeinsam mit ihren Lehrkräften an vier Berufskollegs in Ostwestfalen-Lippe. Ein weiterer 5G-Lernort ist die SmartFactoryOWL in Lemgo, wo Schäfers heute auch den 3D-Drucker wartet.
Die SmartFactoryOWL ist eine Einrichtung des Fraunhofer-Instituts in Lemgo und der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Neben dem Fraunhofer-Institut sind die Universität Paderborn, die Kreise Gütersloh und Paderborn sowie die Nachwuchsstiftung Maschinenbau an dem Projekt beteiligt, die OstWestfalenLippe GmbH leitet es. Bei der Umsetzung arbeiten die Partner eng mit Ausbildungsbetrieben aus der Region zusammen. Gefördert wird 5G-Lernorte OWL vom Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen.
Azubis tragen das 5G-Wissen in die Betriebe
Fernwartung über 5G praktizieren einige Unternehmen schon heute, wie Johannes Schäfers erläutert: „Wenn ein Unternehmen mehrere Produktionsstandorte hat, kann es nicht an jedem Standort Experten für alles haben. Treten spezielle Fragen auf, kann sich das Unternehmen per Videotelefonie mit dem Experten verbinden und so die Expertise auch an diesen Standort holen.“
Das Wissen, das den Schülerinnen und Schülern in diesem Szenario vermittelt wird, ist zum einen ganz praktischer Natur: Wie ist ein 3D-Drucker aufgebaut? Wie muss er gewartet werden? Zum anderen lernen sie durch die Anwendung, welche Vorteile 5G bietet und in welchen Situationen es eingesetzt werden kann. Die Lehrkräfte erhalten entsprechendes Infomaterial, um zu vermitteln, was 5G-Mobilfunk ist und leisten kann. „Für ein Videotelefonat zum Beispiel ist 5G die ideale Lösung, weil es die Bandbreite für ein klares Bild und eine zuverlässige Kommunikation bietet“, so Schäfers.
Projektmanagerin Caroline Wilke von der OstWestfalenLippe GmbH betont den Nutzen für die beteiligten Unternehmen: „Wenn ihre Auszubildenden schon während der Ausbildung mit dem Thema 5G in Berührung kommen, hilft ihnen das später enorm.“ Ihr Kollege Wolfgang Marquardt ergänzt: „Die Auszubildenden sind die Fachkräfte von morgen, das heißt, sie gehen mit dieser Kompetenz in ihre Ausbildungsbetriebe und können das Wissen als Multiplikatoren weitergeben. Diese digitalen Lösungen tragen außerdem dazu bei, die Ausbildungsberufe in den gewerblich-technischen und kaufmännischen Berufen attraktiver zu machen.“
So sieht die Berufsbildung der Zukunft aus
Zwei Berufskollegs erhalten ein 5G-Campusnetz
Zwei Gütersloher Berufskollegs erproben die Lernszenarien in einem 5G-Campusnetz. Es gibt dort also ein eigenes Mobilfunknetz, das die Projektpartner nach ihren eigenen Bedürfnissen gestalten können. An zwei weiteren Berufskollegs in Paderborn erfolgt die Umsetzung der Lernszenarien in einem öffentlichen Netz. Auf diese Weise wollen die Projektbeteiligten die Stärken und Schwächen beider Infrastrukturtypen vergleichen.
Carsten Pieper vom Fraunhofer-Institut in Lemgo erklärt, dass sich ein 5G-Campusnetz je nach Berufsbild lohnt oder eben nicht: „Wenn ich ein sehr technisch orientiertes Berufskolleg habe, das auch eine Metallwerkstatt mit Maschinen hat, dann macht ein Campusnetz mehr Sinn. Wenn es um Dienste für einen kaufmännischen Beruf geht, wo zum Beispiel auf sehr große Datenmengen zugegriffen werden muss, dann ist ein öffentliches Netz ausreichend.“
Telepräsenz ermöglicht auch Inklusion
Das Wissen aus dem Projekt soll sowohl an Unternehmen als auch an andere Berufskollegs weitergegeben werden, sagt Caroline Wilke: „Wir entwickeln Qualifizierungsmaßnahmen, damit auch andere Berufskollegs davon profitieren, sich das Wissen aneignen und es dann bei sich vor Ort umsetzen können.“ Sandra Jürgenhake, Leiterin der Abteilung Bildung im Kreis Gütersloh, sieht darin großes Potenzial, die Attraktivität der beruflichen Bildung zu steigern: „Wir haben die Chance, die Gleichwertigkeit von beruflicher Bildung und akademischer Bildung voranzubringen.“
Darüber hinaus wollen die Projektbeteiligten weitere Wege finden, um Menschen dank 5G eine Beschäftigung zu ermöglichen und so vielleicht auch einen Beitrag zur Fachkräftesicherung zu leisten. Das Projekt arbeitet beispielsweise mit dem wertkreis Gütersloh zusammen, einem Unternehmen, das Menschen mit Behinderung bei der Berufsausbildung unterstützt. „Da ist zum Beispiel Telepräsenz sehr spannend, weil es zum Teil Menschen gibt, die technisch super fit sind, aber nicht aus dem Haus können, weil sie eine Beeinträchtigung haben. Dank Telepräsenz können sie sich von zu Hause aus zuschalten und die Wartung eines 3D-Druckers live erleben, lernen und so später auch selbst umsetzen“, so Wilke.
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